Tag & Nacht im Studio. An zehn langen Tagen haben wir 19 Songs eingespielt und aufgenommen. Was für eine Erfahrung. Ich werde noch lange davon zehren. Die ersten Tage probierten wir den Sound an der alten Neve Console, Pre-Amps, Röhrenverstärkern und allerlei Zeugs mit Jochen Etzel und Arno Jordan zwei grossartigen Engineers. Während Janik Hüsch sein Schlagzeug aufbaute und Moritz Brümmer verschiedene Bässe ausprobierte, richtete ich mir in einer Ecke des Regie Raums mein kleines Wohnzimmer, mit Sofa, Büchern und Familienbildern ein, um richtig anzukommen. Unser Plan war so viel wie möglich live einzuspielen. Das war mein erstes Mal, ich dachte immer, das können nur die grossen Musiker und hatte echt Respekt davor. Unsere erste Session startete mit dem Song “ 1 Way Track „, den ich erst zwei Tage zuvor geschrieben hatte und eigentlich nur als hidden Track für das Album gedacht hatte. Wir setzten die Kopfhörer auf und begannen zu spielen. Moritz hatte sich für einen Fender Bass entschieden und Janik´s Drumsound klang super, der Rhythmus war genau richtig, ohne Anstrengung konnte ich mich mit meiner Akustik Gitarre und Stimme in den Sound legen. Nach nur wenigen Takes war der Song im Kasten. Andere Songs waren mühseliger und dauerten Stunden. Man muss einfach dranbleiben und darf nicht locker lassen. Ich bin überzeugt das es den goldenen Take gibt, den einen Moment, indem alles zusammenkommt. Das schreibt auch Neil Young in seiner Autobiographie: „Es brauchte viele Versuche und dauerte bis in die Morgenstunden, aber schliesslich hatten wir den Take.“ Zwischendurch hatte ich das Empfinden die Stecknadel im Heuhaufen zu suchen, weil wir immer wieder auf der Suche nach dem passenden Sound waren, egal wie müde wir waren. Die ersten vier Tagen spielten Moritz, Janik und ich die Hälfte des Albums ein, dann gab es einen fliegenden Wechsel, Dave Mette gesellte sich an den Drums zu uns, Karsten Brudy brachte seine Pedal Steel mit und David Lübke kam mit einer weiteren Akustik Gitarre dazu. In einer schönen Nachtsession nahmen wir alle zusammen “ Scary Mountain “ und im Anschluss „Shadow Of A Mountain“ auf. Zwei Berge waren erklommen. Susi Wittig, die mich bei einigen Liedern auf dem Album mit ihrer schönen, klaren Stimme unterstützt, nahm sich Urlaub, um für uns zu kochen und zu backen, und schrieb nebenher neue Lieder. Auch andere Freundinnen kochten für uns. Jeden Mittag sassen wir gemeinsam am grossen Holztisch der Künstler-Loft und bekamen wunderbare Gerichte serviert. Ich glaube, dass diese gemeinsamen Tischzeiten besonders für uns alle waren. Es kamen immer wieder Gäste dazu. Die gemeinsame Pause, das gute Essen setzten neue Kräfte frei, die in unserem künstlerischen Schaffen notwendig sind. Wahrscheinlich hat keiner so darüber nachgedacht wie ich, aber mir hat es wirklich viel bedeutet. An dem grossen Holztisch fiel es mir immer besonders auf, wie viele unterschiedlich begabte Menschen hier zusammenkamen, ein reich gedeckter Tisch. Ein Traum, den ich schon lange hatte wurde wahr. Ich bin sehr dankbar über die Menschen, die mit mir an diesem Album arbeiten. Über die Freundschaften in diesem Team.
Es ging also weiter, wir spielten die anderen Songs ein, fast alle live. Zum Ende der Aufnahmen war ich allerdings so müde, dass ich mich bei drei Liedern entschied die Stimme später, in der frische des Tages einzusingen. Aber es gibt keine Schnitte, das heisst alles ist in einem Take gesungen und gespielt, damit es natürlich bleibt. Am drittletzten Tag morgens kamen die Jungs mit den Streichinstrumenten, endlich war Filip Sommer wieder dabei, später auch an der Mandoline, ein Quartett vom Allerfeinsten. Ich hatte es mir auf dem Sofa des Regieraums mit einer Tasse Kaffee bequem gemacht, während Jochen am Neve Pult den Sound für die Streicher einstellte. Die grossen Fenster des Studio standen offen, Vögel sangen und die Luft roch nach Frühling. Als die Streicher zu spielen begannen erfüllte mich ein wundersamer Friede. Ich blickte das Foto meiner Eltern an, die wieder und wieder an mich glaubten, dann zog ich einen Sammelband von Georg Steinberger aus dem Regal und las: “ Aber vertrauen musst Du ihm, vertrauen auch in der Wüste, vertrauen auch im Dunkeln…und ich werde ihr von dort die Weinberge geben und das Tal Achor zu einer Tür der Hoffnung, und sie wird daselbst singen wie in den Tagen ihrer Jugend“, zeitgleich erklang aus den Lautsprechern der Titelsong des Album „Among 10.000“, und die Textzeile: „..in the vineyards we sit and sing..“.
Zum Einstieg ins Album hatte ich noch einen Wunsch, der etwas aufwendiger umzusetzen war, vor allem, weil die Zeit knapp war. Ich habe mir vor einiger Zeit ein altes schweres Harmonium zugelegt und mich in seinen Klang verliebt. Die Wärme und die Kraft dieses Instrumentes entfachen in mir Bilder von wilden Seefahrten, von den ersten Erweckungspredigern, die draußen bei Wind und Wetter mit kraftvoller Stimme vom Himmelreich kündeten. Obwohl wenig Zeit war, unterbrachen Jochen und ich die Arbeit im Studio, um in unserem Wohnzimmer das Harmonium mit ein paar Mikrofonen abzunehmen. Jochen hatte angekündigt, dass dieser Prozess mindestens zwei Stunden brauchen würde. Der Klang des Instruments wird ähnlich wie bei der Orgel durch das Treten von Fusspedalen erzeugt, es strömt dann Luft in einen Blasebalk, mit verschiedenen Registern kann man Bässe, Flute, Echo und vieles mehr bestimmen. Nachdem ich mich bei den ersten Anläufen ständig verspielt hatte, weil das Pumpen, Tastengreifen und singen mich völlig in Beschlag nahm, platzte schliesslich der vergilbte, lederne Blasebalg, immer noch pumpte und spielte ich weiter bis die Luft ganz draussen war, ich fühlte mich wie ein Marathonläufer, der kurz vor dem Ziel schlapp macht. Mindestens drei Stunden waren vergangen und es lag noch viel Arbeit vor uns. Zurück im Studio ging es gleich weiter. Das Lied „ In My Country“ ist eins der Herzstücke des Albums, wir spielten es live ein: ich am Klavier, Moritz am E-Bass, David an der Gitarre und Dave an den Drums. Jochen hatte uns einen spitzen Kopfhörer Sound gemischt, ich konnte voll abtauchen. Nach mehreren Takes rollte der Song, aber dem Stück fehlte etwas, es plätscherte irgendwie dahin. Der Beat war gut, aber es fehlte die Dringlichkeit. Es ist ein Lied über Flucht und Verlust, es beschreibt das Schöne, vergangene, die Idylle des Herkunftslandes, trägt zugleich den Schmerz und die Verlassenheit einer Flucht. Eine Hommage an meine Freunde, die fliehen mussten. Manchmal sind die Dinge, die in uns vorgehen so schwer auszudrücken. Immer wieder musste ich den Song unterbrechen, weil er sich noch nicht so anfühlte, wie ich ihn spürte. Es brauchte Zeit doch schliesslich wurden wir fündig, dem Lied hatte einfach nur der Jazz gefehlt, ein paar kraftvolle Schlagzeugwirbel. Ich bin froh, dass alle Songs eingespielt sind und trotzdem noch alles mögliche gemacht werden darf. Jetzt gehe ich gleich nochmal ins Studio, um ein paar Gesangsspuren mit Arno aufzunehmen, danach machen Moritz und ich uns ans editieren..wir sind noch voll im Prozess und ich berichte wieder. Ich hoffe jeden Lesenden wohlauf.
Bis bald! Sarah
Photos by: Daniel Lindhüber
Hallo liebe Sarah,
ich habe aufmerksam und gespannt deinen kreativen Prozess verfolgt und richtig mitgefiebert. Konnte mich da wirklich gut reinversetzen, denn im Oktober habe auch ich angefangen, ein Weihnachtsmusical zu schreiben und gemeinsam mit meinen Töchtern aufzunehmen. Jetzt sind alle 15 Songs im Kasten, fehlt nur noch die Aufnahme des Erzähltextes. Eigentlich wollte ich dich beim SWC Hannover um deine Meinung und deinen Rat fragen. Da es nun verschoben wird, hoffe ich auf ein baldiges Wiedersehen. Dir wünsche ich bis dahin noch eine erholsame Zeit und ein tolles Album. Wann wird es denn erscheinen?
Viele liebe Grüße, Benedikt
Ja, hoffentlich bis bald! Das Album wird höchstwahrscheinlich im Herbst erscheinen. Grüsse aus dem Studio an Dich und deine Family. Sarah